Das Kleinhirn (Cerebellum)

Autor:  PD Dr. med. Gesche Tallen, Redaktion:  Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 10.08.2016 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e28143

Ein Großteil der ZNS-Tumoren im Kindes- und Jugendalter, zum Beispiel Astrozytome und Medulloblastome, wachsen im Kleinhirn. Der Aufbau und die Aufgaben des Kleinhirns sowie die Entstehung typischer Krankheitszeichen von Tumoren in diesem Bereich werden im Folgenden dargestellt.

Aufbau des Kleinhirns

Das Kleinhirn liegt in der hinteren Schädelgrube [siehe hintere Schädelgrube]. Seine obere Fläche wird vom Großhirn überdeckt, von dem es durch das Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli) getrennt ist. In die untere Fläche des Kleinhirns ist das verlängerte Mark eingelagert, das zum Hirnstamm gehört (siehe auch Kapitel "Hirnstamm und Hirnnerven").

Das Kleinhirn besteht aus den beiden Kleinhirnhälften (Kleinhirnhemisphären) und dem Kleinhirnwurm (Vermis cerebelli). Es ist beidseits durch die Kleinhirnstiele mit dem Hirnstamm verbunden. Durch diese verlaufen alle auf- und absteigenden Nervenfaserbahnen.

Im Längsschnitt erinnern die Kleinhirnstrukturen an Verästelungen eines Laubbaums. Sie werden deshalb auch Lebensbaum genannt. Dabei bildet die graue Substanz die aus drei Nervenzellkernschichten bestehende Kleinhirnrinde (Körnerschicht, Purkinje-Schicht, Molekularschicht). Die weiße Substanz führt verschiedene Faserbahnen und bildet das Kleinhirnmark.

Tief im Mark liegen wiederum Gruppen von Nervenzellkernen, die Kleinhirnkerne. Diese sind selbständige Schaltzentren, die Impulse erhalten und weitergeben. Jede Erregungsweiterleitung wird von der Kleinhirnrinde durch fein abgestimmte Hemmung und Enthemmung reguliert.

Funktionen des Kleinhirns

Das Kleinhirn ist das Kontrollorgan für das Zusammenwirken von Muskelbewegungen (Koordination), für die Feinabstimmung von Bewegungsabläufen und für die Regulierung der Muskelspannung. Aufgrund seines Aufbaus sowie funktioneller Gegebenheiten unterscheidet man beim Kleinhirn drei verschiedene Anteile oder Funktionsbereiche:

  1. Vestibulocerebellum: Das Vestibulocerebellum beeinflusst die Köperhaltung und die Feinabstimmung von Augenbewegungen. Über die zugehörigen aufsteigenden (afferenten) Nervenfaserbahnen erhält es Informationen vom Gleichgewichtsorgan im Innenohr, die es dann über die absteigenden (efferenten) Bahnen zu den beiden Kernen des Gehör- und Gleichgewichtsnervs beziehungsweise zu den Augenmuskelnervenkernen im Hirnstamm weiterleitet (siehe auch Kapitel "Hirnstamm und Hirnnerven", Abschnitte zum Mittelhirn und zum VIII. Hirnnerv).
  2. Spinocerebellum: Das Spinocerebellum wird hauptsächlich durch den Kleinhirnwurm gebildet. Aus dem Rückenmark erhält es Nachrichten über die Stellung von Armen, Beinen, Rumpf sowie über die Muskelspannung. Diese Informationen werden in verschiedene Nervenzellkerngebiete des Hirnstamms weitergeleitet.
  3. Pontocerebellum: Die beiden Kleinhirnhemisphären bilden das Pontocerebellum. Es erhält Informationen von der Brücke im Hirnstamm (siehe auch Kapitel "Hirnstamm und Hirnnerven") und leitet diese zum Mittelhirn und zum Thalamus (siehe auch Kapitel "Zwischenhirn").

Bezug zur Kinderkrebsheilkunde

Störungen von Kleinhirnfunktionen können beispielsweise bei Kindern und Jugendlichen durch einen Tumor in der hinteren Schädelgrube [hintere Schädelgrube] verursacht werden und führen unter anderem zu folgenden Krankheitszeichen:

  • Gleichgewichtsstörungen: schwankendes Gangbild ("wie betrunken"), Haltungsstörungen (Ataxie)
  • überschießende Zielbewegungen (Dysmetrie)
  • ungeordnete Bewegungen bei einem normalerweise schnell erfolgenden Bewegungsablauf, der aus zwei entgegengesetzten Bewegungen besteht, wie zum Beispiel das Eindrehen einer Glühbirne (Dysdiadochokinese)
  • Zittern der Gliedmaßen während einer zielgerichteten Bewegung, meist der Hände (Intentionstremor)
  • langsame, abgehackte, verwaschene Sprache (skandierende Sprache)
  • Blickrichtungs-, Blickhaltungsstörungen im Sinne von rhythmisch verlaufenden Augenbewegungen (Nystagmus)
  • niedrige Muskelspannung (Muskelhypotonie)
  • Schwindel
  • Veränderungen der Handschrift ("in den Keller schreiben")