Welche Spätfolgen gibt es?

Dieses Kapitel informiert über mögliche Spätfolgen einer Stammzelltransplantation, darunter die Graft-versus-Host-Disease (GvHD), Organschäden, Schädigung des Hormonsystems, beeinträchtigte Fruchtbarkeit oder Infertilität, grauer Star (Katarakt) und Zweitkrebserkrankungen. Auch fertilitätserhaltende Maßnahmen werden angesprochen.

Autor:  Dr. med. habil. Gesche Tallen, Dr. med. Jörn Kühl, Redaktion:  Maria Yiallouros, Freigabe:  PD Dr. med. S. Voigt, Zuletzt geändert: 15.05.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e4983

Eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT), insbesondere die allogene Stammzelltransplantation, ist noch immer mit erheblichen akuten Nebenwirkungen und Langzeitfolgen behaftet. Sie sind auf die Hochdosis-Chemotherapie und die Ganzkörper-Bestrahlung (Konditionierung) sowie auf die Stammzelltransplantation selbst zurückzuführen.

  • Durch die allogene Stammzelltransplantation kommt es bei etwa 10 % der Patienten zu einer chronischen Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (englisch: „Graft-versus-Host-Disease“, abgekürzt: GvHD), die sich gegen verschiedene Organe und Organsysteme richten kann. Betroffen sind hauptsächlich Haut, Leber und der Magen-Darm-Trakt (siehe Kapitel "Komplikationen").
  • Aufgrund der Therapie sind auch Schädigungen von Lunge, Herz, Nieren, Nervensystem, Knochenmark und Muskulatur möglich.
  • Besonders gefährdet ist das Hormonsystem (endokrine System) des Patienten; es kann teilweise oder komplett ausfallen. Häufig tritt eine Schilddrüsenunterfunktion auf. Nicht selten sind auch Wachstumsverzögerungen (durch eine Störung der Wachstumshormonausschüttung) sowie eine Verzögerung der Pubertät (durch beeinträchtigte Bildung von Geschlechtshormonen). Aus diesem Grund ist die langfristige hormonelle Nachsorge von HSZT-Patienten besonders wichtig. Sie umfasst die regelmäßige Untersuchung des Patienten und, gegebenenfalls, eine Behandlung mit entsprechenden Hormonen.
  • Die intensive Chemotherapie und die Ganzkörperbestrahlung führen, anders als in der Regel eine Standard-Chemotherapie, oft zu einer bleibenden Unfruchtbarkeit. Insgesamt reagieren die Hoden empfindlicher auf die Behandlung als die Eierstöcke. Dementsprechend ist die Fruchtbarkeit bei männlichen Patienten häufiger eingeschränkt als bei weiblichen (siehe auch weiterführendes Kapitel zu Fruchtbarkeit im Anschluss).
  • Etwa 20-25 % der Patienten entwickeln fünf bis zehn Jahre nach der Ganzkörperbestrahlung eine Trübung der Augenlinse, einen grauen Star (Katarakt). Wenn dieser zu einer stärkeren Sehbehinderung führt, kann er wie bei älteren Menschen durch eine ambulante Operation leicht behoben werden.
  • Des Weiteren besteht ein erhöhtes Risiko, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite bösartige Tumorerkrankung eintritt. Das Risiko ist bei einer Kombination von Chemo- und Strahlentherapie höher als bei alleiniger Chemotherapie [BAK2003] [BOR2008]. Auch eine chronische Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (GvHD) begünstigt die Entstehung von Zweittumoren, denn sie führt zu einer anhaltenden Beeinträchtigung des Immunsystems. Vor allem Zweitkrebserkrankungen der Haut spielen hier eine Rolle.
  • Durch die Stammzelltransplantation können sich zudem Störungen des Zuckerstoffwechsels, des Geschmackssinns sowie psychische Beeinträchtigungen einstellen.

Weitere, allgemeine Informationen zu möglichen Spätfolgen an Organen oder Organsystemen (wie Fortpflanzungsorgane, Niere, Herz) erhalten Sie in unserer Patienteninformation zum Thema „Spätfolgen - Betroffene Organe“.

Fertilitätserhaltende Maßnahmen

Die für die Blutstammzelltransplantation notwendige Konditionierung führt bei 80 – 100 % der Patienten zu einer Unfruchtbarkeit (Infertilität). Das Risiko der Infertilität hängt von der Grunderkrankung, einer möglicherweise bereits vor Beginn der Therapie reduzierten Keimzellreserve, Vortherapien, den verwendeten Konditionierungsmedikamenten und dem Alter des Patienten zum Zeitpunkt der Stammzelltransplantation ab.

Insbesondere alkylierende Substanzen (Alkylantien) – typischerweise Busulfan und Cyclophosphamid – führen zu einer teilweisen oder vollständigen Schädigung der Gonadenfunktion bei beiden Geschlechtern mit dem möglichen Verlust der Keimzellen oder einer verkürzten reproduktiven Phase bei den betroffenen Mädchen und Frauen. Aufgrund der unzureichenden Datenlage zur Fertilität nach Konditionierung mit reduzierter Toxizität sollte aktuell bei allen Patienten, die eine Blutstammzelltransplantation erhalten, eine Beratung über fertilitätserhaltende Maßnahmen erfolgen.

Aktuell stehen keine sicheren medikamentösen Maßnahmen zur Verfügung, die die Schädigung der Eierstöcke (Ovarien) / Hoden durch die Konditionierungsbehandlung verhindern. Aus diesem Grund zielen die Maßnahmen zum Fertilitätserhalt stets auf die Entnahme und Kryokonservierung von Eizellen oder Ovargewebe beziehungsweise von Spermien oder Hodengewebe.

Zum Teil werden Stammzelltransplantationen allerdings bereits im frühen Kindesalter, das heißt, noch vor der Pubertät durchgeführt. Die in dieser Phase ruhenden Keimzellen sind weniger empfänglich für schädliche Substanzen oder schädigende Einflüsse (Noxen) als nach der Pubertät, aber auch weniger zugänglich für eine Kryokonservierung. Erfreulicherweise eröffnen Fortschritte in der Reproduktionsmedizin auch für präpubertäre Mädchen und Jungen neue Perspektiven für den Einsatz fertilitätserhaltender Maßnahmen. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei derzeit noch um Maßnahmen mit experimentellem Charakter handelt.

Ausführliche Informationen zu Spätfolgen, die die Fortpflanzungsorgane betreffen, sowie zu Möglichkeiten der Vorbeugung und Behandlung finden Sie in unserem Patiententext „Spätfolgen für die Fortpflanzungsorgane“.

Basisliteratur

  1. Handgretinger R, Matthes-Martin S, Lang P: Hämatopoetische Stammzelltransplantation. in: Niemeyer C, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Springer-Verlag GmbH Deutschland 2. vollständig überarbeitete Auflage 2018, 17 [ISBN: 978-3-662-43685-1] HAN2018
  2. Leiper A: Non-endocrine late complications of bone marrow transplantation in childhood. British J Haemato 2002, 118: 3 [PMID: 12100125] LEI2002
  3. Brennan BM, Shalet SM: Endocrine late effects after bone marrow transplant. British J Haematol 2002, 118: 58 [PMID: 12100128] BRE2002