Vererbung / Genetik des Retinoblastoms

Autor:  Dipl.-Biol. Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 02.05.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e96550

Aufgrund der genetischen Besonderheiten und der Ausprägung der Erkrankung werden Retinoblastome wie folgt eingeteilt [LOH2007]:

  • Familiäres Retinoblastom: 10 bis 15  % aller Patienten mit einem Retinoblastom haben eine familiäre Erkrankung; hier handelt es sich immer um eine erbliche Form des Retinoblastoms. Meist haben alle Beteiligten ein beidseitiges Retinoblastom.
  • Sporadisch beidseitiges Retinoblastom: 35% der Patienten haben eine beidseitige Erkrankung und keinen Angehörigen mit Retinoblastom (sporadische Erkrankung). Fast alle Kinder mit sporadisch beidseitigem Retinoblastom haben ebenfalls die erbliche Form.
  • Sporadisch einseitiges Retinoblastom: Bei etwa 55 bis 60 % der an einem Retinoblastom erkrankten Kinder ist nur ein Auge betroffen und in der Familie ist keine Erkrankung bekannt. Die meisten Kinder (85 bis 90 %) mit dieser Form des Retinoblastoms haben kein erbliches Retinoblastom.

Wie entsteht das nicht-erbliche (sporadische) Retinoblastom?

Die nicht-erbliche Form des Retinoblastoms entsteht, wenn es in einer einzelnen Netzhautzelle zu Mutationen in beiden Retinoblastomgen-Allelen, also letztlich zu zwei Mutationen im Retinoblastomgen kommt (somatische Mutation). Die Erkrankung beschränkt sich fast immer auf ein Auge (unilateral) und auf einen einzigen Tumor (unifokal) und wird nicht an die Nachkommen weitergegeben.

Wie entsteht das erbliche (sporadische oder familiäre) Retinoblastom?

Bei der erblichen Form des Retinoblastoms (sporadisch und familiär) befindet sich der genetische Defekt, also die erste Mutation, bereits in der Keimzelle, also der Eizelle der Mutter oder der Samenzelle des Vaters (germinale Mutation), so dass infolge der Zellteilungen während der Entwicklung des Embryos das defekte Gen in allen Körperzellen des Kindes vorhanden ist.

Das veränderte Gen kann dabei entweder von einem der Eltern weitergegeben, also vererbt worden sein – in diesem Fall spricht man von einem familiären Retinoblastom – oder es kann neu in der Keimbahn eines Elternteils – aufgrund einer neuen Keimbahnmutation – entstanden sein. Im letzteren Fall handelt es sich um ein sporadisches Retinoblastom. Da das veränderte Retinoblastomgen in beiden Fällen (also unabhängig von der Herkunft des Gendefekts) alle Körperzellen des Kindes betrifft, ist es in der Regel möglich, die Veranlagung für ein Retinoblastom durch einen Bluttest (konkreter, durch Untersuchung weißer Blutzellen) festzustellen.

Der Tumor entsteht in beiden Fällen allerdings erst dann, wenn in einer Netzhautzelle auch das zweite Retinoblastomgen-Allel verändert ist. Da alle Retinazellen von Anfang an bereits ein verändertes Retinoblastomgen-Allel aufweisen und “nur” eine weitere Mutation für die Tumorentwicklung notwendig ist, tritt die erbliche Form meist in einem sehr frühen Lebensalter, in beiden Augen (bilateral) und häufig auch an mehreren Stellen (multifokal) innerhalb eines Auges auf. Darüber hinaus haben Patienten mit einem erblichen Retinoblastom ein erhöhtes Risiko, an anderen Krebsarten zu erkranken, insbesondere an Krebserkrankungen der Knochen (Osteosarkome) und des Bindegewebes (Weichteilsarkome) sowie an schwarzem Hautkrebs [GAL1991]. Das erbliche Retinoblastom wird daher auch als Krebsprädispostionssyndrom bezeichnet.

Für Kinder, die das kranke Gen geerbt haben, ist das Risiko groß, an einem Retinoblastom zu erkranken: Es liegt bei fast 100 % [WIE2006]. Das individuelle Erkrankungsrisiko kann mit Hilfe eines Gentests genauer bestimmt werden. Wenn die genetischen Grundlagen nicht ausreichend untersucht sind, können einige Informationen zur Vererbung auch aus der Krankengeschichte abgeleitet werden. Hat ein Kind mehrere Tumoren oder sind nahe Angehörige ebenfalls erkrankt, so kann immer von einer erblichen Belastung ausgegangen werden. Aber auch bei Kindern mit einseitigem Retinoblastom kann es sich – in etwa 10 bis 15 % der Fälle – um ein erbliches Retinoblastom handeln.

Wie groß ist das Risiko, ein erbliches Retinoblastom an die Nachkommen weiterzugeben?

Das Risiko, dass ein Patient mit einem erblichen Retinoblastom die Erkrankung (genauer, die Veranlagung für die Erkrankung) an seine Nachkommen weitergibt, beträgt 50 %. Eine erbliche Erkrankung liegt immer bei Patienten mit einem familiären Retinoblastom und fast immer bei Patienten mit einem sporadisch beidseitigen (bilateralen) Retinoblastom vor.

Bei Patienten mit einem sporadisch einseitigen Retinoblastom handelt es sich nur in circa 15% der Fälle um ein erbliches Retinoblastom. Das statistische Risiko, dass Patienten mit einseitigem Retinoblastom die Krankheit an ihre Kinder weitergeben, beträgt somit insgesamt nur etwa 6 % [LOH2007].